Als herauskam, dass mein Mann eine Affäre mit einer anderen Frau hat, hätten viele erwartet, dass ich wütend, enttäuscht oder voller Groll reagieren würde. Doch genau das ist nie passiert. Ich habe oft die Frage gehört: „Wie kannst du ihm das verzeihen?“ Doch die Wahrheit ist, ich hatte nie das Gefühl, dass ich ihm etwas verzeihen muss.

Es war nicht so, dass ich den Schmerz, die Wut oder die Angst ignorierte. Diese Gefühle waren real und präsent, und ich habe sie in all ihrer Intensität gespürt und ausgedrückt. Aber gleichzeitig – und das mag paradox klingen – spürte ich, dass diese Situation mehr war als ein Vertrauensbruch. Von Anfang an fühlte ich, dass das, was geschah, eine tiefere Bedeutung für uns beide hatte. Es war, als hätte uns das Leben diese Herausforderung geschickt, um zu wachsen – sowohl als Individuen als auch als Paar.

Warum ich mich nicht als Opfer sehe

Viele Menschen in meiner Umgebung schenkten mir Mitgefühl und sahen mich als Opfer der Situation. Doch diese Rolle habe ich nie für mich angenommen. Ich war nicht das hilflose Opfer, und mein Mann war nicht allein der „Täter“. Stattdessen habe ich die Situation als eine Gelegenheit gesehen, in mich zu gehen und zu fragen: Was möchte ich aus dieser Erfahrung lernen? Was in mir braucht diese Situation, um sich zu transformieren?

Diese schmerzhafte Zeit hat mich näher zu mir selbst gebracht und mir geholfen, tief verwurzelte Glaubenssätze zu hinterfragen. Alte Muster, die mich unbewusst geleitet hatten, wurden mir plötzlich klar. Ich begann zu verstehen, dass dieser Schmerz mich befreien würde – von Erwartungen, die ich an mich selbst und an unsere Beziehung gestellt hatte, von Vorstellungen, wie „richtig“ und „falsch“ in einer Partnerschaft aussehen sollten. Heute stehe ich als freiere, bewusstere Frau da, und dafür bin ich zutiefst dankbar.

Die Verantwortung für unsere eigene Realität

Diese Erfahrung hat mein Verständnis von Beziehungsarbeit und persönlicher Entwicklung grundlegend verändert. Ich glaube fest daran, dass wir unsere äußeren Umstände – ob bewusst oder unbewusst – selbst erschaffen. Wir ziehen durch Beziehungskrisen Situationen in unser Leben, die uns die Möglichkeit geben, unbewusste, hinderliche Glaubenssätze zu erkennen und zu heilen und daran zu wachsen. Wir bekommen sie, um Verantwortung für unser eigenes Leben zu übernehmen und in Zukunft unser Denken und Fühlen so auszurichten, dass immer mehr Dinge entstehen, die wir wirklich in unserem Leben haben möchten.  

Statt in die Opferrolle zu verfallen, habe ich die Verantwortung für meinen Anteil an unserer Beziehung übernommen. Es war nicht einfach, ehrlich hinzusehen und zu akzeptieren, dass auch ich einen Teil dazu beigetragen habe, dass unsere Beziehung in eine Schieflage geraten ist. Dieser Prozess war schmerzhaft, aber auch befreiend.

Mein Mann hat nicht „falsch“ gehandelt – er hat in einem Moment der Verzweiflung eine Lösung für seine innere Not gesucht. Er handelte aus einem emotionalen Muster heraus, das in seiner Kindheit geprägt wurde. Damals kannte er keinen besseren Weg, seine Unzufriedenheit auszudrücken oder sich mir mitzuteilen. Er hatte nie gelernt, seine Gefühle und Bedürfnisse klar zu kommunizieren. Seine Affäre war ein Ausdruck dessen, was er zu diesem Zeitpunkt nicht anders bewältigen konnte.

Was gibt es also zu verzeihen?

Ich musste meinem Mann nicht verzeihen, weil ich nie das Gefühl hatte, dass er einen Fehler begangen hat, den ich ihm „erlassen“ müsste. Wir beide hatten unbewusst an einer Beziehung gearbeitet, in der er sich so gefangen fühlte, dass er diesen Ausweg suchte. Das war schmerzhaft, ja, aber es war auch der Weckruf, den wir brauchten, um unsere Beziehung und uns selbst zu verändern.

Heute sind wir an einem Punkt, an dem unsere Beziehung stärker, ehrlicher und tiefer ist als jemals zuvor. Die Affäre hat uns gezwungen, alte Muster zu durchbrechen und eine neue Ebene der Kommunikation und des Verständnisses zu erreichen. Anstatt in alten Rollen von Schuld und Vergebung festzustecken, haben wir die Krise als Katalysator für Wachstum genutzt.

Ich bin heute eine andere Frau als vor ein paar Jahren – bewusster, freier und authentischer. Und unsere Beziehung? Sie ist auf einem ganz neuen Level von Liebe und Verständnis. Es gibt nichts zu verzeihen, denn die Erfahrung hat uns beiden die Chance gegeben, uns selbst und unsere Partnerschaft zu transformieren.

Fazit

Vergebung setzt voraus, dass man glaubt, jemand habe „falsch“ gehandelt. Doch wenn man erkennt, dass jede Situation, auch die schmerzhaften, uns Möglichkeiten für Wachstum und Heilung bieten, verschiebt sich der Fokus. Dann geht es nicht mehr um Vergebung im herkömmlichen Sinne, sondern darum, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und bewusst zu entscheiden, wie man mit Herausforderungen umgeht.

Für mich war diese Erfahrung eine Chance, meine eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen, an meiner Beziehung zu arbeiten und stärker daraus hervorzugehen. Dafür empfinde ich heute nur Dankbarkeit.