Von vielen Paaren, die kurz vor der Trennung stehen, höre ich oft heraus: „Wenn es vorbei ist, will ich so schnell wie möglich eine neue Beziehung.“ Dieser Wunsch scheint fast automatisch in uns verankert zu sein – als ob wir nur in einer Partnerschaft wirklich vollständig wären.

Aber warum ist das so? Warum glauben wir, dass wahres Glück erst mit einem neuen Partner kommt? Ich frage mich dann immer: welchen Wert hat dieser Partner und diese Beziehung gehabt, wenn er so schnell ersetzbar ist? Bedeutet das, dass die aktuelle Beziehung im Grunde austauschbar ist? Und vor allem: Ist es nicht viel sinnvoller, sich erst einmal selbst zu fragen, was wir wirklich brauchen, bevor wir uns direkt in die nächste Liebe stürzen?

Ein Grund dafür liegt in unserer gesellschaftlichen Prägung. Schon von klein auf lernen wir, dass eine feste Partnerschaft – idealerweise die Ehe – zu den höchsten Zielen des Lebens gehört. Märchen, Filme und sogar Familienerwartungen vermitteln uns: „Nur wenn du jemanden findest, der dich liebt, ist dein Leben wirklich erfüllt.“ Wer langfristig Single bleibt, wird oft bemitleidet oder als unvollständig betrachtet. Diese tief verankerten Überzeugungen prägen unser Denken – und lassen uns glauben, dass wir alleine nicht genug sind.

Warum Selbstliebe so entscheidend ist

Doch eine gesunde Beziehung beginnt nicht mit der Suche nach einem neuen Partner – sondern mit der Beziehung zu uns selbst. Denn solange wir glauben, dass unser Glück von einer anderen Person abhängt, werden wir immer wieder dieselben Herausforderungen erleben. Alte Muster tauchen in neuen Partnerschaften wieder auf, weil wir sie nie wirklich gelöst haben.

Der Schlüssel liegt darin, unabhängig von einem Partner glücklich sein zu können. Das bedeutet nicht, dass wir weniger lieben – sondern dass wir unsere Bedürfnisse nicht vollständig auf den anderen übertragen. Wenn wir wissen, wie wir uns selbst Anerkennung, Geborgenheit und Wertschätzung schenken können, entlastet das unsere Beziehung enorm.

Eine gesunde und vor allem emotional weitestgehend unabhängige Liebesbeziehung findet erst dann statt, wenn ich mit mir alleine glücklich bin und weiß, wie ich meine Bedürfnisse nach Gemeinschaft, nach Anerkennung, nach Liebe, Spaß, usw. befriedige – durch mich selbst, andere Menschen meines Umfelds oder Tätigkeiten. Ich muss lernen, unabhängig von der Liebe und Zuneigung eines anderen Menschen oder meiner Kinder glücklich zu sein. Ich muss wissen, wer ich bin – außerhalb meiner Beziehung und meiner Elternschaft. Erst das macht mich fähig, eine gesunde Beziehung auf Augenhöhe zu führen. Denn je unabhängiger ich bin, desto weniger Rollen- und Bedürfnisbefriedigung laste ich meinem Partner auf und desto freier und lebendiger sind wir miteinander. Und desto attraktiver werde ich für meinen  Partner – denn er fühlt sich entlastet: er ist nicht derjenige, der mich allein glücklich machen muss.

Die Freiheit, nicht alles vom Partner zu erwarten

Je unabhängiger wir emotional sind, desto weniger Druck entsteht in der Partnerschaft. Denn wenn einer der Partner die Verantwortung dafür trägt, den anderen glücklich zu machen, entsteht ein Ungleichgewicht. Beziehungen werden lebendiger und erfüllender, wenn beide Partner ihre eigene innere Stabilität mitbringen – und nicht erwarten, dass der andere all ihre Bedürfnisse erfüllt.

Das bedeutet auch, sich selbst treu zu bleiben. Nicht jede Entscheidung danach auszurichten, was der Partner denkt. Eigene Interessen, Freundschaften und Hobbys zu pflegen. Sich bewusst zu machen: „Ich bin mehr als nur die Hälfte eines Ganzen.“

Meine eigene Unvollkommenheit auf diesem Weg

Ich selber übe mich täglich darin, emotional immer unabhängiger von meinem Mann zu werden. Das heißt nicht, ihn weniger zu lieben, sondern meine Entscheidungen immer weniger davon abhängig zu machen, wie er etwas findet oder darüber denkt. Das ist nicht immer einfach – denn auch ich bin in dem tief verwurzelten Glauben aufgewachsen, dass ich weniger geliebt bin, wenn ich für mich selbst und meine Bedürfnisse einstehe und das daraus resultieren könnte, am Ende verlassen zu werden und alleine zu sein. Doch ich merke: Je mehr wir uns selbst ernst nehme, unsere eigenen Bedürfnisse spüren und unsere eigenen Entscheidungen treffe, desto freier und liebevoller fühlt sich unsere Beziehung an.

Fazit

Eine erfüllte Beziehung beginnt nicht mit einem neuen Partner – sondern mit uns selbst. Solange wir glauben, dass unser Glück erst in einer Partnerschaft vollständig ist, machen wir uns emotional abhängig und wiederholen unbewusst alte Muster. Wahre Selbstliebe bedeutet, den eigenen Wert unabhängig von einer Beziehung zu erkennen, sich selbst Geborgenheit zu geben und ein erfülltes Leben zu führen – auch ohne Partner.

Je mehr wir unsere Bedürfnisse selbst wahrnehmen und erfüllen, desto weniger Last tragen unsere Beziehungen. Das schafft Freiheit, Entspannung und echte Nähe. Denn wenn niemand das Gefühl hat, den anderen „retten“ oder „komplett machen“ zu müssen, entsteht Raum für eine gesunde, lebendige Liebe – auf Augenhöhe, aus echtem Wollen statt aus innerem Mangel.